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Theater ist nicht Selbstverwirklichung, sondern Dienstleistung.

Vor 50 Jahren entstand die Clown-Marionette, die nach ihrem Aussehen "Gustaf" genannt wurde. Aus dem bildnerischen Entstehungsprozeß heraus erlebte ich eine erstaunliche Wirkung auf mich selbst. Fast unmittelbar nach dem Rohbau verlor ich das Bewußtsein des Selbst-Machens und begegnete meinem Arbeitsergebnis als recht kritischer Zuschauer und wurde überwältigt. Ich mußte einfach diese Marionette bewegen, um ihr im Spiegel zuschauen zu können und mit täglich neuer Verwunderung Leben zu erleben, wo realiter keines ist. Ist dort keines? Eine schwierige Frage, auf die es ebenso schwierig ist, eine schlüssige Antwort zu finden. Der Eindruck war so stark, den GUSTAF auf mich machte, daß es für mich allein nicht auszuhalten war.
Ich mußte mich mitteilen und ihn allen Leuten zeigen - zunächst noch unbemalt und nur mit einem roten Lendenschurz bekleidet. Und so wurde ich durch Gustaf zum Puppenspieler.

Es ist im Prinzip bei einer einfachen Darstellungsform geblieben, ohne Kulissen, ohne den Aufbau eines Marionettentheaters im traditionellen Sinn. Ich spiele meine Szenen mit Marionetten ungehindert durch irgendwelche Abdeckungen in räumlicher Freiheit. Die Zuschauer werden durch kein unnötiges Beiwerk abgelenkt. Die genaue Lichtführung konzentriert zusätzlich.

50 Jahre darstellendes Spiel mit einer einzigen Marionette - nicht nur, freilich ist das Ensemble entstanden, aber der unbestrittene Star ist Gustaf - er spielt ebenso unbestreitbar die älteste Szene im Programm. Der Wurf, der mir mit Clown Gustaf gelang, hat meinen Werdegang bestimmt. Die gegenseitige Inspiration im Spiel ist intensiver geworden, selbstverständlicher und wir werden uns auch äußerlich ähnlicher. Mein ganzes Leben mußte sich dieser Bestimmung unterordnen, auch die privaten Verhältnisse.

Am Anfang habe ich viele verschiedene Anregungen aufgegriffen, wie die intensive Zeit bei Albrecht Leo Merz, der meine Beziehung zum Material beeinflußt hat.
Bei meinem ausgezeichneten Lehrmeister im Marionettenbau Fritz Herbert Bross habe ich die fruchtbarsten drei Monate meiner Lehrzeit verbracht. Von ihm habe ich mein Rüstzeug im bildnerischen, handwerklichen und vor allem im technischen Fachgebiet des Marionettenbaus bezogen.

Die wesentliche Voraussetzung, daß ich mit Solomarionetten spielen kann, ist das von ihm gefundene Marionettenbausystem, das er mit "künstlerisch-technischer Einheit" bezeichnete. Die Marionette wird nicht mehr, wie seither nach traditionell-empirischen Erfahrungswerten konstruiert, sondern nach physikalisch-kinetischen Gesetzmäßigkeiten. Das Spiel wird von der Schwerkraft bestimmt und ermöglicht organische Bewegungsabläufe. Kleist hat diese Möglichkeit in seinem berühmten Essay "Über das Marionettentheater" aus philosophischer Sicht beschrieben: die Bewegung aus dem Schwerpunkt heraus, vollendet durch die Reinheit = Unbewußtheit des Impulses. Bross' Auffassungen kam meinen eigenen Intentionen entgegen, sie wurden erst durch unser Aufeinandertreffen realisierbar. Das Bross'sche Bauprinzip ist die Grundlage meiner Weiterentwicklungen und Findungen. Aus dieser Kenntnis resultiert, daß komplizierte Bewegungen auf ihren einfachsten technischen Nenner in der Handhabung (im Spielkreuz) gebracht werden. Dadurch wird die Manipulation schlafwandlerisch sicher, die volle Konzentration fließt in die Darstellung. Der Puppenspieler muß nicht mehr ein Leben lang üben, um die unkontrollierten Bewegungen seiner Marionette in den Griff zu bekommen. Meine Marionetten haben kaum noch unkontrollierte Bewegungen, weil die kinetischen Erkenntnisse im Bau umgesetzt sind.

Alle Bewegungen sind wiederholbar, aber nicht im technisch-mechanischem Sinn, sondern durch ein organisches Zusammenwirken aller Teile. Sie befinden sich in Balance, weil sie alle einem Bewegungsschwerpunkt zugeordnet sind. Es fasziniert mich mehr denn je, diesen Bedingtheiten nachzugehen, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und einzusetzen, immer im Hinblick auf ihre Bühnenwirksamkeit und ihre künstlerische Aussage.

Es mag eine Eigenart meines Spiels sein, daß bildnerische und darstellerische Komponenten nach den gleichen Regeln geschaffen wurden und werden. War das am Anfang noch schier unbewußt, komme ich im Alter immer mehr dazu, nach den Voraussetzungen zu fragen, die zu dieser Merkwürdigkeit geführt haben.

Beim Schreiben dieses Artikels kam ich zu der für meine Arbeitsweise treffenden Formulierung "meditativer Umgang mit dem Material". Das setzt eine genaue Beobachtung voraus, die so intensiv werden muß, daß sie in den Bereich der Wahr-nehmung, der Meditation übergeht. Die Möglichkeiten des Materials treten voll in Erscheinung und werden während des bildnerischen Vorgangs ständig intuitiv genutzt. Das partnerschaftliche Begreifen des Materials korrigiert willentliche, selbstbezogene Erkenntnisse und Intentionen und bringt eine große, oft enorme Bereicherung der Ergebnisse. Es erschwert die eigene Arroganz und Eitelkeit, weil das Gelingen als etwas Gewachsenes erlebt wird, nicht als etwas Produziertes.

Der gleiche Vorgang wiederholt sich beim ersten Anspielen der neu geschaffenen Marionette. Ich führe mit ihr eine Zwiesprache vor dem Spiegel, beobachte ihren Ausdruck und ihre Verwandlungen. Wenn ich nicht von ihrem Eigenleben immer wieder überrascht und zum Spiel verführt werde, langweilt sie mich schnell und sie kommt nicht in die Vorstellung. Hier ist die bildnerische Gestaltung von ausschlaggebender Bedeutung, weil nur Gelungenes das Interesse wachhalten kann.

Auf die Frage "Was ist eine Puppe" fand eine chinesische Studentin meiner Internationalen Sommerakademien die fabelhafte Definition: "a puppet is a thing with the potential of life in it" - die Puppe hat die Möglichkeit des Lebens in sich.



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